Kapital und Arbeit vor Gericht – Ein Fall von Klassenjustiz
Soll sich der „Gutmensch“ freuen, dass sein Rechtsstaat doch noch funktioniert? Tatsächlich hat ein deutsches Gericht über die berüchtigte (1949 mit der Bundesrepublik Deutschland gegründete) Firma Heckler & Koch und zwei seiner Mitarbeiter wegen Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz Strafen verhängt. Verurteilt wurden der ehemalige Vertriebsleiter Sahlmann und eine Sachbearbeiterin namens Beuter wegen bandenmäßigen Waffenhandels mit Mexiko. Allerdings müssen die beiden ihre Haftstrafen nicht absitzen. Sie bekamen Bewährung.
Das ist gut so, denn nach der Befehls- und damit Verantwortungshierarchie des Unternehmens hätten auch die eigentlich Verantwortlichen und ebenfalls Angeklagten, die beiden Geschäftsführer Beyerle und Meurer sowie der Ex-Vertriebsleiter Mackrodt, verurteilt werden müssen. Meines Erachtens ohne Bewährung. Aber alle drei wurden freigesprochen. Für Jürgen Grässlin, den Vorsitzenden des „RüstungsInformationsBüros und Bundessprechers der DFG-VK“ und der „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“, der die Strafanzeige erstattet hat und sich selbstverständlich freut, dass es überhaupt zu diesem Prozess und zu Verurteilungen kam, ist dies dennoch „ein klarer Fall von Klassenjustiz“.
Immerhin wurde die Firma Heckler & Koch zu einer hohen Geldbuße, zu mehr als 3,7 Mio. Euro, verurteilt. Wie schmerzlich diese Summe für die Top-Manager, den Vorstand und die Aktionäre ist, lässt sich von außen nur schwer beurteilen. Da jedoch die derzeitige Geschäftslage von H&K als desaströs eingeschätzt wird, dürfte diese Summe ihre Wirkung nicht verfehlen. Aus Sicht der Firmenleitung und ihrer Anwälte ist es verständlicherweise schwer nachvollziehbar, dass die gesamte Verkaufssumme, und nicht, wie erhofft, nur der Gewinn aus diesem Geschäft abgeschöpft wurde.
Gewinnabschöpfung ist bekanntlich seit Jahrzehnten das Zauberwort der deutschen Sicherheitspolitiker gewesen, wenn es darum ging, wie man Organisierte
Kriminalität (zum Besispiel des Drogenhandel) austrocknen könne. Eine kleine Strafrechtsänderung hat dann tatsächlich dazu geführt, dass man derzeit bis zu 10 Mio. Bußgeld gegen Firmen verhängen darf. Kritiker dieser Strafrechtsänderung meinen, damit habe der Gesetzgeber durch die Hintertür das - aus meiner Sicht längst überfällige -
Unternehmmensstrafrecht eingeführt.
So gesehen hat Jürgen Grässlin Recht, wenn er – trotz der skandalösen Freisprüche der beiden amtierenden Geschäftsführer, den hauptverantwortlichen Managern – von einem großen Erfolg, ja sogar von einem Durchbruch in der Rechtsprechung gegen illegale Waffenexporte spricht. Tatsächlich haben solche Prozesse Signalwirkung. Und ein weiterer von ihm inititierter Prozess steht unmittelbar besor. Er hat erkannt, auch wenn er es anders ausdrückt, dass sich nur durch solche Prozesse der empirische Nachweis erbringen lässt, dass die Bundesrepublik längst in der von Kanzlerin Merkel gewünschten „marktgerechten Demokratie“ angekommen ist.
Nicht nur die Gesetzgeber praktizieren diesen Marktkonformismus, indem sie die - aus ihrer Sicht wirklichen - „Leistungsträger“ der Gesellschaft, die Investoren und ihre Manager, die doch die Arbeitsplätze schaffen, nach Möglichkeit vor Strafen schützen, also die einschlägigen Gesetze mit den notwendigen Hintertüren und Schlupflöchern versehen. Auch die Ministerien, also die Bürokraten der Exekutive, haben von „unabhängigen Richtern“ unseres Rechtsstaats so gut wie nichts zu befürchten, wenn sie zugunsten der Wirtschaft ein Auge zudrücken. Und wenn sie ihr Amt wegen Bestechlichkeit verlieren sollten, sind sie in der freien Wirtschaft, meist mit viel besserer Bezahlung, immer noch zu gebrauchen.
In diesem Stuttgarter Prozess hat sich als entscheidend herausgestellt, dass das Gericht die so genannte Endverbleibserklärung nicht als Teil der Exportgenehmigung angesehen hat. Das heißt, dass die bisher selbst von Fachleuten als wesentlicher Bestandteil der Regulierung des Waffenexports angesehene Endverbleibserklärung aus Sicht des Stuttgarter Landgerichts gar nicht rechtverbindlich ist. Es wird also demnächst vor dem Bundesgerichtshof (BGH) zu klären sein, ob dies zutrifft.
Nachweislich haben die angeklagten Mitarbeiter von Heckler und Koch auf den Inhalt dieser Endverbleibserklärungen unerlaubten Einfluss genommen. Diese „Papiere“ müssen verschiedenen Behörden, auch dem Bundeswirtschaftsministerium, korrekt ausgefüllt vorgelegt werden. Bürokraten entscheiden dann anhand des angebenen Endverbleibs darüber, ob die Waffenexporte genehmigt werden können oder abgelehnt werden müssen. Heckler und Koch hat die zuständigen Behörden, das ergaben die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, im Fall der Waffenlieferungen nach Mexiko bewusst getäuscht, was heißt, die Endverbleibserklärungen wurden gefälscht, um den Export genehmigt zu bekommen.
Zwar meinte die Staatsanwaltschaft dazu, dass den Genehmigungbehörden nichts vorzuwerfen sei, aber die Frage, ob und inwieweit einflussreiche Behördenleiter mit einflussreichen H&K-Mitarbeitern, zum Beispiel mit dem Spitzenmanager Peter Bayerle vielleicht an diesem Genehmigungsverfahren hinter den Kulissen „mitgewirkt“ haben könnten, wurde nicht gründlich aufgeklärt, die dazu gewonnenen Erkenntnisse – rechtsstaatlich gesehen – im Verfahren auch nicht hinreichend gewürdigt.
Dies lässt sich am Fall des Top-Managers Peter Beyerle demonstrieren. Denn bei ihm handelt es sich um den ehemaligen Präsidenten des Landgerichts Rottweil, den Heckler und Koch 2005 als Lobbyisten eingekauft hat. Seit dem 1. Januar 2006 fungierte er als der „Behördenbeauftragte“ der schon damals heftig umstrittenen Waffenschmiede. Seine Aufgabe war es zunächst, die firma in den Genehmigungsbehörden, wie er selbst vor Gericht aussagte, als „seriöses Unternehmen“ darzustellen. Das muss er so gut gemacht haben, dass der Richter a.D. schon eineinhalb Jahre später zum Geschäftsführer und Ausfuhrverantwortlichen der Firma aufstieg, das heißt, vom Aufsichtsrat zum Top-Manager ernannt wurde.
Beyerle wollte – so behauptete er mehrfach - eigentlich nach seiner Pensionierung nur weiter einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen, es sei ihm gar nicht ums Geld gegangen. Aber muss man ihn da nicht fragen, weshalb ein Landgerichtspräsident ausgerechnet dem Waffenexport mehr Sinn als einer ehrenamtlichen Tätigkeit zum Beispiel an der Seite von Jürgen Grässlin abzugewinnen vermochte? Dort hätte er dem sozialen Rechtsstaat Deutschland - und sich selbst als Richter a. D. - einen weit besseren, eindeutig sinnvolleren Dienst erweisen können.
Trotzdem wurde Beyerle vom Gericht freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hatt für ihn eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten auf Bewährung und eine Geldauflage von zweihunterttausend Euro gefordert. Begründet hat das Gericht den Freispruch mit der langen Verfahrensdauer und die mehr als zehn Jahre zurückliegenden Taten. Also nicht etwas strafmildernde Erkenntnisse, sondern von der Justiz zu verantwortende Verfahrensmängel mussten dazu herhalten, diesen vom Rechtssprecher zum Rechtsbrecher gewordenen Mediator zwischen Kapital und Staat wie seine beiden mitangeklagten Manager mit einem Freispruch reinzuwaschen.
Jürgen Grässlin sieht – auch wenn er hier den eindeutigen Beweis fand, dass in unserem Rechtsstaat noch immer offene Klassenjustiz praktiziert wird - dennoch eher den Erfolg, den die Friedens-, Entwicklungs- und Menschenrechtsbewegung mit diesem Prozess errungen hat. Er sagt: „Die positive Signalwirkung dieses Prozesses ist: Illegaler Waffenhandel wird von uns aufgedeckt und von Gerichten sanktioniert.“
Grässlins Tübinger Rechtsanwalt, Holger Rothbauer, stellte fest, dass mit diesem Urteil die illegalen Waffenlieferungen in die vier verbotenen Bundesstaaten Mexikos nicht nach dem strengeren Kriegswaffenkontrollgesetz strafbar sind, sondern lediglich nach dem laxeren Außenwirtschaftsgesetz. Wörtlich: „Wenn dieses Urteil hält, ist die bisherige Exportkontrolle für Kriegswaffen und Rüstungsgüter am Ende. Es muss ein völlig neues wirksames Rüstungsexportkontrollgesetz entwickelt und eingeführt werden“.
Mit welcher Mehrheit im Bundestag ein solches Gesetz beschlossen werden könnte, hat er leider nicht gesagt. Die derzeitige Große Koalition wird sich dazu wohl kaum durchringen. Und schon gar nicht die zu erwartenden Mehrheiten nach dem jetzt schon absehbaren vorzeitigen Ende dieser Koalition.
Dass in diesem Prozess kein Wort über die mexikanischen Opfer verloren wurde, obgleich Verwandte von aus H&K-Waffen Getöteten am Prozess teilnahmen, sei hier nur kritisch angemerkt. Das wäre ein eigenes, sehr langes Kapitel. Halten wir nur fest: Sie fanden das Urteil ungerecht. Grässlin hofft, dass wenigstens die 3,7 Mio. Euro, die Hecker&Koch berappen soll, in einen Opferfonds fließen. Allerdings hat er auch gleich seine nicht unberechtigte Befürchtung geäußert, die Firma Heckler und Koch werde erst einmal in Revision gehen, um das hohe Bußgeld herunterzuhandeln. Die neue Firmenleitung hofft selbstverständlich auf bloße Gewinnabschöpfung. Soll denn H&K schlechter behandelt werden als die Drogenbarone? HS.
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