Vorbemerkung
Gute Ansatzpunkte zum besseren Verständnis und teilweise auch schon zu einer theoretischen Erklärung dafür, weshalb Gesellschaften zwischen ordentlichen, akzeptierten, legitimen, also auch legalen und verwerflichen, strafwürdigen ("sündigen" bzw. gesetzwidrigen) Wirtschaftspraktiken unterscheiden, findet man schon in den oft als "heilig" geltenden Schriften, Geboten, Verboten und königlichen Gesetzen der frühesten uns bekannten Zivilisationen.
Es dauerte Jahrtausende, bis die Voraussetzungen gegeben waren, dass in Teilen der Welt "Gottesstaaten" überwunden waren und an ihre Stelle moderne Verfassungsstaaten traten. Auch nachdem erste Verfassungsstaaten im Ansatz entstanden waren, mussten noch viele Strukturelemente der uralten und alten Rechts-Ordnungen berücksichtigt und konnten bis heute nicht völlig aus den rechtsstaatlichen Systemen ausgeschieden werden. So wird, um nur ein Beispiel zu nennen, nach wie vor von Journalisten und Sachbuchautoren der Begriff "Steuersünden" verwendet, auch wenn es sich nach rechtsstaatlicher Auffassung um Steuerstraftaten handelt. Man könnte, ja müsste deshalb von Steuerkriminalität sprechen.
Der Begriff der Sünde stammt aus vorwissenschaftlichen, aus gottesstaatlichen Zeiten. Er lebt allerdings in der christlichen Religion fort und kontaminiert - meist von den Betroffenen unbemerkt - auch die sich im Rahmen des modernen Rationalismus und der christlich-kapitalistischen Demokratien bewegenden Sprachgewohnheiten. Dass eine an Verharmlosung der Steuerstraftaten interessierte Öffentlichkeit ganz bewusst den der Sache angemessenen Begriff Steuerstraftat vermeidet und den verharmlosenden, fast schon um Vergebung flehenden Begriff der Sünde, oft auch der Steuersünde, verwendet, sei hier schon einmal vorgreifend angemerkt. Es handelt sich um ein Thema aus dem Bereich der Meinungs-Industrie, das wegen seines Umfangs und seiner großen Bedeutung auf dieser Website gesondert behandelt werden muss.
Widmen wir uns also zunächst den vorwisssenschaftlichen Formen der akzeptierten, aber vor allem mit Strafen und Strafandrohungen sanktionierten Formen der Ökonomie. Die Archeologen und Historiker der frühesten Geschichtsperioden der Menscheit haben bestätigt, was sich diejenigen, die etwas gründlicher über Arbeit und Leben der ur- und frühzeitlichen Menschen nachgedacht haben, schon ziemlich realistisch vorgestellt hatten, dass die Menschen noch lange nach ihrem abgeschlossenen Menschwerdungsprozess vom Jagen, Fischen und Früchtesammeln lebten. Man spricht deshalb von den Gesellschaften der "Jäger- und Sammler"
Was die Frühmenschen jedoch mit Sicherheit von den in der Tierwelt zurückgelassenen "Verwandten", den hoch entwickelten Primaten, unterschied, war wohl unter vielen anderen Besonderheiten, dass sie ihre "Werkzeuge" nicht mehr einfach der Natur entnahmen, um sich ihre Nahrungsbeschaffung zu erleichtern und zu sichern, sondern aus dem der Natur entnommenen Materialien immer komplexere Werkzeuge herstellten, zum Beispiel Steine zu Äxten, Pfeilspitzen, anderen Gebrauchsgegenständen verarbeiteten, Materialien (Holz. Knochen, Mineralien, Metalle), aus der Natur benutzten, auch um andere Materialen der Natur damit zu bearbeiten, zu formen, also Gebrauchsgegenstände herzustellen.
Eine der wichtigsten Voraussetzungen der Menschwerdung des Menschen war, dass diese Primaten lernten, das (zum Beispiel durch Blitze) natürlich entstandene Feuer zu benutzen, schließlich, was zweifellos ein ganz entscheidender Entwicklungsfaktor war, Feuer auch selber herzustellen.
Wir können leider nicht mehr überprüfen, ob es den ersten Menschen, denen es gelang, selbst ein Feuer zu entfachen, bewusst wurde, welche Folgen diese neu gewonnene Fähigkeit, ohne die die wirtschaftliche, soziale und politisch-kulturelle Entwicklung der Menschheit gar nicht vorstellbar ist, haben würde. Eher nicht. Sicher ist aber, dass zumindest einige dies irgendwann begriffen. Denn in den antiken Mythen, in denen viele menschliche Empfindungen, Nöte, Katastrophen, Angste, Hoffnungen, Aktionen und Reaktionen meist in poetischen Sprachformen festgehalten sind, finden sich eindrucksvolle Beispiele dafür, wie über die Fähigkeit des Menschen, Feuer zu machen, geurteilt wurde. In fast allen Kulturen muss der Glaube geherrscht haben, dass Götter (Zeus, Vulcanus, Donar) oder Göttinnen die Herrschaft über das Feuers haben.
Es muss daher von denen, die die Herrschaft über diese elementare Naturgewalt als göttliches Privileg betrachteten und respektierten, als schwerstes Verbrechen empfunden worden sein, dass Menschen sich diese Fähigkeit erworben haben. Sie waren, indem sie das Feuer beherrschten, wenn nicht selbst zu Göttern, so doch zu gottähnlichen Wesen geworden. In der griechischen Mythologie ist es der meist als Halbgott, oft auch nur als Heros, als Held, betrachtete Prometheus, der es wagte, den Menschen das Geheimnis, wie man Feuer macht und beherrscht, zu verraten.
Wie es im alten Testament als Verbrechen betrachtet und bestraft wird, das Adam und Eva vom Baum der Erkenntnis aßen, obwohl es Gott selbst seinen Geschöpfen verboten hatte, dies zu tun, also Erkenntnisse zu gewinnen, die nur einem Gott zustanden, wird in der griechischen Mythologie Prometheus für seinen Frevel bestraft. Zeus lässt ihn an einen Felsen geschmiedet von einem Adler täglich ein Stück seiner allerdings nachwachsenden Leber aus dem Leib reißen, bis ihn Herakles von dieser Marter - auch veranlasst durch Zeus - befreit. Strafe, Sühne und Erlösung deuten sich hier schon als feste Bestandteile einer als göttlich anerkannten Rechtsordnung an.
Adam und Eva wurden aus dem Paradies gejagt und, man muss es so deutlich sagen, erbarmungslos in das Arbeitslager Erde verbannt. Dort müssen sie und ihre Nachkommen, denn es gibt die Erbsünde, sich bis zum jüngsten Tag im Schweiße ihres Angesichts ihr Brot verdienen, sich mühsam ernähren und die Frauen, für die Eva ein- für allemal steht, unter Schmerzen ihre Kinder gebären. Während also im antiken Mythos der Griechen und Römer der zu ewigen Qualen verdammte Prometheus von Herakles (lateinisch Herkules) befreit wird, bieten die Mythen des alten Testaments eine kompliziertere Erlösungprzedur an. Die sündigen Geschöpfe Gottvaters müssen sich bis zu einem zeitlich nur ungenauen, sehr fernen "jüngsten Tag" gedulden, an dem das "jüngste Gericht" stattfindet, das über die Auferstehung oder die ewige Verdammnis entscheidet.
Es ist hier nicht der Ort, diese Mythologien darzustellen. Es muss genügen aufzuzeigen, dass die menschliche Tätigkeit schon in den frühesten Reflexionen über sie nicht abgelöst von ihren positiven und negativen Bewertungen betrachtet wurde. Diese Bewertunngen waren jedoch das Privileg der Götter und Göttinnen, oder auch des einen Gottes, wo sich der Monotheismus durchzusetzen vermochte. Aus heutiger - naturwissenschaftlich geprägter, aufgekärt rationalistischer Sicht - sind die antiken Götter wie die monotheistischen Gottheiten der großen Weltreligionen menschliche Projektionen. Nicht die Götter oder der eine Gott hat die Menschen, sondern die Menschen haben sich ihre Götter erschaffen.
Warum? Ich glaube, aus einer für die Menschwerdung des Menschen nicht wegzudenkenden Notwendigkeit, sich eine zum Überleben der Gattung als erforderlich erkannte Kontrollinstanz über die Gemeinschaften (Horden, Clans, Stämme, Völker) als etwas Übermenschliches, Überzeitliches. kurz, etwas Göttliches vorzustellen. Das kurze Leben des Einzelnen musste, sobald es sich selbst als Leben begriff und nach seinem Sinn zu fragen gelernt hatte, eine Idee entwickeln, die über sein zeitlich begrenztes physisches Dasein hinaus wirksam bleiben konnte. Prometheus war ja nicht nur der Feuerüberbringer, er war auch der Vorausdenkende. Man bedenkt leider zu selten, das diese Fähigkeit des Vorausdenkens die tragende Säule menschlichen Zusammenlebens ist. Zu ihr gehören nich nur die Ängste vor dem irgendwann eintretenden eigenen Tod, oder irgendwelcher geliebter Menschen, sondern auch das Lernen, das Planen, das Organisieren, das Bauen, das Vorsorgen. Was da alles zusammenkommt, kann man Vision nennen, es ist aber untrennbar verbunden mit den Bildern, die wir uns über Gott und die Welt machen, auch über den Menschen und seine Rolle auf dieser Erde, als Individuum, als Mitglied einer Familie oder Bezugsgruppe. Auch als Mitglied einer Gesellschaft von Staatsbürgern oder als Weltbürger und ein Atom der Gattung Mensch.
Der Absturz ist allerdings tief, wenn es um die materielle Existenz geht. Dazu muss man sich die mühsamen Fortschritte bei der Beschaffung von Nahrung, Kleidung und Behausung vorstellen, die wiederum auf die körperliche und geistige Entwicklung der Menschen positive Auswirkungen dahingehend hatten, dass sie allmählich und immer besser lernten, die äußeren wie ihre eigenen Naturkräfte zu nutzen. Es muss sicher an dieser Stelle nicht vertieft werden, dass aus dieser Fähigkeit des homo sapiens sapiens das entstand, was wir heute ohne weiteres - oft mit der Kunst verwechselt - als Kultur bezeichnen. Kultur bezeichnet - wenn auch nur in fließenden Grenzen - das jeweilige Ergebnis langer, unter besonderen materiellen Bedingungen entstandener - kollektiver Selbstbilder menschlicher Vergemeinschaftungen, zu denen auch die etwas markanteren Linien zwischen dem gehören, was als gut und beförderungswürdig, und dem was als schlecht, böse und strafwürdig gehalten wird.
Viel zu gering wird geachtet, dass es vor allem diese Scheidelinien sind, nennen wir sie die Grenzen zwischen dem Erlaubten und dem Verbotenen, durch die Unterschiede der Kulturen ganz besonders deutlich, oft physisch spürbar werden.
Der Begriff Kultur kommt aus den modernen Agrarwissenschaften. Dort ist er bis heute gebräuchlich als "Agrikultur". Und tatsächlich ist die Einführung des Ackerbaus, wenn auch nicht die erste, so doch mit größter Wahrscheinlichkeit die wichtigste Innovation des Wirtschaftslebens, die das Menschengeschlecht je hervorgebracht hat. Denn allein die Fortschritte der Agrarproduktion, die Produktivitätssteigerungen durch Bewässerungssysteme, Planzenzucht, Anbaumethoden, Düngung in diesem Bereich (der auch Viehzucht und Fischzucht umfasst) machten es überhaupt erst möglich, alle übrigen Erwerbszweige zu entwickeln. Nur die landwirtschaftliche Überproduktion erlaubte die Freisetzung von immer mehr Mitgliedern einer Gesellschaft, Arbeitskräfte für Handwerk, Wissenschaften. Künste, Dienstleistungen jeder Art, die Einführung stehender Heere wie die Teilung von Stadt und Land.
Hiermit beginnen und entwickeln sich auch die Probleme der Ökonomie, des richtigen Haushaltens. Und der Auseinandersetzungen zwischen den arbeitsteilig an der Gesamtproduktion Beteiligten um Bedeutung und Berechtigung derer, die mehr oder weniger Anteil an den wirtschaftlichen Erfolgen und Fortschritten der Zivilisation hatten. All dies spiegelt sich schon in den ältesten schriftlichen Überlieferungen, die uns die "Hochkulturen" der Frühzeit hinterließen.
Wird fortgesetzt.